Aus der Katgorie: Hochglanzjournals

Das älteste Verlagshaus der Welt lanciert ein neues Open Access Journal

royal-society-open-scienceDie Royal Society steht kurz vor dem 350. Jubiläum ihrer ersten Publikation und darf sich somit als ältester noch existierender akademischer Verlag bezeichnen. Fast zeitgleich mit dem Jubiläum wagt das Haus den Sprung in die Zukunft: Die Royal Society lanciert einen weiteren Open Access Titel, welcher Forschern naturwissenschaftlicher Disziplinen offen stehen wird. In der entsprechenden Pressemitteilung spricht der Verlag verschiedene Schwächen des klassischen Publikationsmodells an und erklärt, wie diesen mit dem neuen Titel „Royal Society Open Science“ entgegengewirkt wird.

  • Der vordringlichste Punkt betrifft die teils fragwürdigen Kriterien, die ein Artikel erfüllen muss, um in einem Topjournal veröffentlicht zu werden (auch Publikationen der Royal Society selbst sind gemeint). Hierfür muss die Forschung ein aktuelles und viel diskutiertes Thema behandeln und möglichst spektakuläre Resultate liefern. Es gibt aber auch wichtige Arbeiten abseits des Scheinwerferlichts. Oftmals offenbart sich die wahre Brisanz erst nach einiger Zeit, die Arbeit ist nur in einer kleinen Nische relevant, oder die Redaktoren verkennen schlicht die Wichtigkeit des Themas. Auch negative Resultate, bei denen die Forschungsthese nicht bestätigt wird, beinhalten mitunter interessante Erkenntnisse und wertvolle Daten. Schließlich gibt es Themen, die sich nicht auf die übliche Seitenzahl reduzieren lassen. Solche Artikel lassen sich im klassischen Publikationsbetrieb nur schwer vermarkten. Sie unveröffentlicht zu lassen, beraubt die akademische Gemeinschaft aber der enthaltenen Informationen. Die neu geschaffene Plattform kreiert deshalb einen offeneren, weniger exklusiven und zugänglicheren Raum.
  • Auch wenn der Verlag diesen Punkt nicht explizit erwähnt: Experimente im Bereich Open Access sind willkommen. Die Leserschaft kostenlos mit Inhalten zu bedienen, ist ein interessantes und wichtiges Ziel. Ein universales, optimales Geschäftsmodell konnte sich hierfür noch nicht herauskristallisieren und es existiert womöglich auch nicht. Erfahrungen damit zu sammeln, wie sich das neue Journal auf die übrige Produktpalette des Verlags auswirkt, kann möglicherweise einen Beitrag zur Klärung leisten.

Open Access schließt im Fall Royal Society Open Science auch in Arbeiten verwendete Daten ein. Diese stehen für weiterführende Forschung oder für die Replikation von Resultaten zur Verfügung.

  • Effizienz ist in mehr als einer Hinsicht Trumpf: Nicht nur, dass das Onlineformat die Druckkosten einspart, sondern es kommt auch ein sogenanntes Cascading Peer Review zum Einsatz. Dies betrifft Artikel, die ursprünglich für andere Journals der Royal Society Familie eingereicht wurden, die den Qualitätsansprüchen genügen, die jedoch nicht exakt ins jeweilige Programm passen. Beispielsweise aus oben genannten Gründen. Im Normalfall werden solche Artikel nach einem mehrmonatigen Prozess abgelehnt, worauf die Autoren versuchen werden, sie bei einem besser geeigneten Titel zu platzieren. Dort wird das Peer Review von anderen Experten durchgeführt und beginnt folglich bei Null. Neu können betreffende Artikel an Royal Society Open Science weitergegeben werden, die Doppelspurigkeit beim Review entfällt.
  • Die Plattform regt zu einer neuen Form des Reviews an, bei welcher Kollegen und Leser Kommentare zu publizierten Artikeln abgeben können, welche gegebenenfalls zu einer Revision führen. In Anbetracht der Kritik, die das Peer Review System momentan erfährt, ist dies eine interessante Entwicklung. Dass ein solch bedeutendes Verlagshaus die Idee als Ergänzung zum klassischen Peer Review aufgreift, wird ebenfalls zu neuen Einsichten über diese Variation des Publizierens führen.

Auch bei der American Association for the Advancement of Science, dem Herausgeber des Journals Science, steht die Lancierung eines Open Access Titels bevor. Das neue Journal wird Science Advances heißen. Ob und in welcher Form Open Access den akademischen Forschungsbetrieb als Ganzes beeinflussen wird, bleibt abzuwartem. In der Zwischenzeit darf sich die akademische Gemeinde auf einfachere, zugängliche und vor allem auf mehr Inhalte freuen.

Wie die prestigeträchtigsten Journals der Wissenschaft schaden

over-promoting-researchDas Spektrum von Publikationsmodellen, die akademische Fachzeitschriften nutzen, ist breit. Am untersten Ende finden sich die raubtierhaften Journals und die sogenannte „vanity press“. Diese höchst unseriösen Journals verlangen vom Autor eine Publikationsgebühr und drucken fast ohne Qualitätskontrolle praktisch jeden eingereichten Artikel. Im Open Access Bereich gibt es aber andererseits auch geachtete und seriöse Titel. Einige davon finanzieren sich ebenfalls über Autorengebühren, manche haben andere Einnahmequellen erschlossen. Teilweise erscheinen diese Journals in gedruckter Form, meist nur online. Klassischerweise finanzieren sich Wissenschaftsverlage aber über Abonnentengebühren, die in der Realität überwiegend von Universitätsbibliotheken bezahlt werden. Obwohl die Arbeit der Bibliothekare und die beschränkten Budgets eine gewisse Qualität garantieren, so finden sich doch auch in dieser Kategorie immer wieder dubiose Titel, deren Peer Review Prozess den Namen nicht verdient. Eine Gefahr für die Wissenschaft wittert man unabhängig vom Finanzierungsmodell sofort am unteren Ende der Hackordnung.

Mit Hochglanz voraus!

Tatsächlich haben aber auch die prestigeträchtigen Top-Journals mit ihren Hochglanzcovern zu einer Verzerrung geführt, die dem Forschungsbetrieb nicht dienlich ist. Titel und Verlage wie Nature, Science und Cell stehen momentan besonders im Kreuzfeuer der Kritik. Die Pflege des Impact Factors (also die Anzahl Zitate, mit denen Autoren rechnen dürfen) erfordert eine breite Leserschaft. Das disziplinenübergreifende Publikum interessiert sich aber bisweilen eher für Gesprächsstoff für die nächste Cocktailparty als für Grundlagenforschung in einem relativ fremden Fach. Neben der ungesunden Fokussierung darauf, die Bedeutung eines Journals numerisch darzustellen, ist auch ein übermäßig breites Themengebiet problematisch – die Kombination von beidem führt auf einen besonders glitschigen Pfad.

Ein weiterer Faktor ist das Platzproblem. In einer wissensbasierten Gesellschaft steigt der Forschungsoutput von Jahr zu Jahr. Die bedeutendsten drei Journals können aber per Definition bloß drei Stück sein. Und deren Seitenzahl steigt nicht. Was also passiert mit dem zunehmenden Reservoir an Forschungsresultaten, die den Schnitt nicht geschafft haben? Natürlich kann die Leserschaft die Zeit nicht unbegrenzt erhöhen, die sie darauf verwendet, um auf dem Laufenden zu bleiben. Doch mehr Publikationen mit verifizierter Qualität würden die Gelegenheit bieten, den Fokus enger zu setzen und so in der eigenen Nische schneller voranzukommen. Online Publikationen machen es möglich, ohne großen Druckaufwand mehr Artikel zu veröffentlichen. Sie gefährden damit aber ihre eigene Exklusivität. Gut für die Wissenschaft, schlecht für den Verlag.

Dazu kommt, dass sich das System selbst verfestigt. Am leichtesten lässt sich vorhersagen, ob es ein Artikel in eine Top-Zeitschrift schafft, indem man den Autor fragt, ob er schon einmal in der American Economic Review, im Journal of Political Economy oder im Journal of American History veröffentlicht hat (ja, das „Phänomen Hochglanz“ gibt es auch außerhalb der Naturwissenschaften, auch wenn sich die Diskussion dort gerade am heftigsten zuspitzt). Wer mehr oder minder zufällig zu Beginn seiner Forscherkarriere die Gelegenheit hat, mit einem einschlägigen Autor zusammenzuarbeiten, der steigert seine Chancen auf eigene Publikationen enorm. Mit allen Konsequenzen in Bezug auf Beförderungen und Forschungsbudgets.

Reißerisch und dennoch gefährlich konservativ

Trotz ihrem Hang zu reißerischen, kontroversen Themen kann es schwierig sein, wirklich bahnbrechende Artikel in Luxusjournals platziert zu bekommen. Eine Studie konnte belegen, dass Mäuse grundlegend anders auf bestimmte Medikamente reagieren als Menschen. Selbst auf solche, für die Tests an Mäusen vorgeschrieben sind. Verständlicherweise wollte sich das Autorenteam damit an eine möglichst breite Leserschaft wenden. Sowohl Science als auch Nature kamen zum Schluss, dass die Erkenntnisse der Studie nachvollziehbar und korrekt seien. Und lehnten den Artikel dennoch ab, der doch solch offensichtliche Relevanz für weite Teile der Pharmaforschung hat. Da beide Verlage eine Stellungnahme ablehnen, kann über ihre Gründe nur spekuliert werden. Ob schlicht ein konservativer Grundgedanke verhindert, dass am Fundament gerüttelt werden darf – an den elementarsten, etablierten Annahmen, auf denen zahlreiche zuvor publizierte Artikel aufbauen?