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Gefälschte Daten publizieren = Karriereende?

mclovinDer Unternehmer strebt nach Profit, der Akademiker nach Publikation. Selbst in der Wirtschaft, wo die berühmte „unsichtbare Hand“ und gut überwachte Gesetze eigentlich für Ordnung sorgen, kommt es oft genug zu Betrügereien: Kartelle, Korruption und die 100 Gramm Packung Knäckebrot, in der nur 90 Gramm drin stecken. Wie viel anfälliger auf Mauscheleien ist da erst der akademische Betrieb, wo sich Ehrgeiz mit Ego mischt, wo die absolute Wahrheit sowieso nicht existiert und wo die Umsetzung der Regeln nicht ein ganzes Heer von Beamten beschäftigt, sondern zwei oder drei Peer Reviewern obliegt. Diese stehen meist unter Zeitdruck und sind nicht selten befangen, handelt es sich doch um Kollegen und oft um Bekannte des Autoren. In dieser Position müssen sie dann, ohne dass alle Informationen vorliegen, über Graubereiche befinden, die Bestandteil der Wissenschaft sind. Ist der unbequeme Datenpunkt da wirklich ein Ausreißer, den man ignorieren kann?

Was passiert mit gefallenen Forschern?

Neben eher schwammigen Punkten gibt es aber auch ganz klare Tabus. Erfundene Daten sind in jedem Fall wissenschaftlicher Betrug. Wird solches Fehlverhalten entdeckt, zieht das disziplinarische Maßnahmen nach sich. Artikel, die auf konstruierten Daten basieren, müssen ohne Ausnahme formal zurückgezogen werden. Solche Fälle häufen sich in den letzten Jahren, hoch gerankte Journals sind auffällig oft betroffen. In einem Umfeld, in dem Prestige alles ist, steht ein ertappter Betrüger vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere und kann sich im Labor oder auf Konferenzen nicht mehr blicken lassen. Oder? Eine Studie hat dies systematisch überprüft. Tatsächlich wird es für ertappte Missetäter erheblich schwieriger, Forschungsgelder zugesprochen zu bekommen, über die Hälfte verzichtet auf weitere Publikationen. Immerhin ist die Studie aber auch auf den Einzelfall eines Akademikers gestoßen, dem es gelang, nach seiner Bloßstellung wesentlich mehr Artikel pro Jahr zu veröffentlichen, als zuvor. Eine weitere Untersuchung konzentriert sich auf noch nicht in der Forschung etablierte Doktoranden. Diese verlassen zu 90% die akademische Welt, wenn ihr Fehlverhalten öffentlich wird. Eine hohe Zahl, selbst wenn man bedenkt, dass bei dieser jüngeren Gruppe einige wohl auch ohne Betrugsfall einen anderen Karrierepfad eingeschlagen hätten. Ein weiteres Paper stellt fest, dass frühere Artikel von schuldigen Autoren knapp ein Zehntel der Zitate „verlieren“, die andernfalls zu erwarten gewesen wären.

Sind wir Zeugen eines Wertewandels?

Es ist also hinlänglich belegt, dass wissenschaftlicher Betrug bei Entdeckung ernste Folgen für die Karriere hat. Noch nicht untersucht worden ist hingegen, ob dieser Effekt bei zunehmender Anzahl zurückgezogener Artikel verbleicht. Ist Betrug in der Wissenschaft auf dem Weg zum Kavaliersdelikt zu werden? Oder haben solche Fälle gar nicht zugenommen und wird heute einfach genauer hingeschaut und mehr entdeckt?

Haruko Obokata, die den wohl heißest diskutierten Fall von fabrizierten Daten (oder in ihrem Fall: fabrizierten Aufnahmen von Zellen) zu verantworten hat, hofft sicherlich auf Milde. Sie hat versichert, ihre Experimente zu berichtigen und weiterhin in ihrem Feld forschen zu wollen. Falls sie dies umsetzten kann, so wird sie möglicherweise zum nächsten „Ausreißer“ bezüglich Karriereeffekten von Betrügereien. In der Zwischenzeit hoffen wir auf die freiwillige Einhaltung von grundsätzlichen ethischen Forschungsregeln und auf genaue Kontrollen. Und wir trösten uns mit einer positiven Erkenntnis, zu der aller drei genannten Papers kommen: Wer eigene Fehler selber und ohne Druck bekannt macht, der muss nicht mit negativen Folgen für seine Karriere rechnen.

Über 100 Nonsens-Forschungsartikel von fachbewerteten (peer reviewed) Herausgebern entfernt

Jüngste Nachrichtenberichte haben die – zumindest für die Getäuschten – peinliche Situation ans Licht gebracht, der eine Reihe von akademischen und wissenschaftlichen Magazinen zu fliehen versuchten. Es scheint als seien über 100 Nonsens-Forschungsartikel von den fachbewerteten (peer reviewed) Verlagen entfernt worden. Das Problem ist durch automatische Artikelgeneratorsoftware enstanden, die Forschungsartikel fälschen kann. Solche Generatorprogramme liefern falsche Forschungartikel in der Regel bei Eingabe von einigen wenigen Parametern, wie z.B. vom Thema und themenrelevanten Schlüsselbegriffen. Kurz nachdem Sie “Eingabe/Enter” gedrückt haben, spuckt das automatische Artikelsoftwareprogramm einen eindrucksvoll aussehenden Forschungsartikel aus. Zumindest vordergündig, denn die meisten dieser Artikel fallen bei genauerer Betrachtung schnell durch alle akademischen und wissenschaftlichen Qualitätsprüfungen. Das bestätigt, dass in der Geschichte der Wisschenschaften viele der vermeintlich penibel recherchierten akademischen Berichte sich als entweder falsch bei ihren Entdeckungungen oder als schlampig geschrieben und recherchiert herausgestellt haben.

Automatische Erzeugung von Artikeln eine jüngere Entwicklung
Die Entwicklung des automatischen Artikelgenerators und das darauffolgende Auftreten gefälschter 100-Gibberish-Paperswisschenschaftlicer Artikel wird meist auf das Science Department des Massachusetts Institute of Technology und seinem “SCIgen” Programm zurückgeführt. Das SCIgen Programm, das 2005 erfunden wurde, zeigte sich, als es fertig entwickelt war, unglaublich geschickt bei der Generierung von akademischen Artikeln, die aus reinem Nonsens bestanden, Nonsens der sich oberflächlich allerdings sehr eindrucksvoll anhörte, las und auch aussah. SCIgen lieferte sogar Diagramme, Tabellen und scheinbar echte Quellennachweise, immer richtig formatiert, was den Lektoren und Herausgebern von nicht wenigen Magazinen gefiel. Die Erfinder von SCIgen am MIT Computer Science Department weisen darauf hin, dass das Programm nur zum Vergnügen – überwiegend ihrem – dient und nicht ernst genommen werden sollte, da die heruntergespulten generierten Artikel eigentlich keinen Sinn beinhalten.

Seit dem Erscheinen von SCIgen haben andere Entwickler, oft auf der Arbeit vom MIT aufbauend, rasch   falsche Forschungsberichte erzeugt und begonnen, Artikel bei verschiedenen Magzinen einzureichen. Es ist ein bisschen verwunderlich, dass so viele der angesehenen akademischen und wissenschaftlichen Zeitschriften mit hohem Prestige es zuließen, dass dieser Nonsens veröffentlicht  werden durfte. Bei der letzten Zählung waren es mehr als 120 von SCIgen erzeugte Artikel, die von diesem oder jenem Magazin von der Veröffentlichung zurückgezogen wurden, und es besteht die große Wahrscheinlichlichkeit, dass noch weitere da draußen kursieren. Die Zeitschriftenherausgeber versprechen, dass bald alle restlichen Artikel durch eine Prüfung aus dem System entfernt sein werden.

Wie ein Generator für gefälschte Forschungsberichte erfolgreich täuschen konnte
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Fähigkeiten von Softwares, tatsächlich einen echten Forschungsartikel zu erzeugen, gleich null, vor allem deswegen weil Softwares programmiert werden müssen und nur das tun können, wozu sie programmiert wurden. Denn, einfach ausgedrückt, Softwares “denken” nicht oder stellen sich Handlungen so vor wie wir das tun und können daher den notwendigen Kontext nicht erzeugen, der Nonsens von sinnhaltigen Texten unterscheidet. Anders formuliert: Softwares können Ihnen zwar Daten liefern, jedoch können sie diese nicht in irgendeinen Kontext oder Bedeutungszusammenhang stellen, der für einen menschlichen Leser einen Sinn ergeben würden.

Scheinbar hat SCIgen einigen seiner Benutzer geholfen, einige Artikel durch den Begutachtungs- und Lektoratsprozess zu schleusen – hauptsächlich deswegen, weil es so viele Artikel sind, die jedes Jahr eingereicht werden. Während viele Magazine nichts dazu sagen wollten, wieso ein Nonsens-Forschungsartikel tatsächlich publiziert werden konnte, scheint es teilweise an der großen Zahl der eingereichten Arbeiten zu liegen; manche Redakteure und Gutachter sahen sich gezwungen, auf den ersten Blick legitim wirkende Artikel nur flüchtig zu prüfen. Anzugeben, dass man sich bedrängt gefühlt hat und aus diesem Grund schlampig bei der Püfung und Begutachtung gewesen ist, würde bei den Lesern einer Fachpublikation sicherlich einen Vertrauensverlust hervorrufen.

Vielleicht ist es gut, dass ein automatischer Artikelgenerator so ein Durcheinander verursacht hat, und dass die Zeitschriften die redaktionellen Richtlinien und Begutachtungnormen verschärfen, damit der gefälschte wissenschaftliche Artikel sein Unwesen nicht mehr treiben kann. Allerdings wird sich noch zeigen, für wie lange die Magazine ihre Wachsamkeit praktizieren werden. Und wer weiß, ob die nächste Generation nicht doch in der Lage sein wird, Kontexte miteinzubeziehen? Sollte das geschehen, wäre es sehr gut möglich, dass noch weit mehr künstlich generierte Forschungartikel in das System gelangen würden.