Schlagwörter Archiv: Widerruf

Wann muss ein Artikel korrigiert oder widerrufen werden?

widerruf-vertragEinen guten Umgang mit Korrekturen und Widerrufen von publizierten, peer reviewten Artikeln zu finden, ist ein heikles Thema. Nehmen wir an, ein Autor entdeckt im Zuge seiner weiteren Forschung, dass in einem früheren Artikel Unstimmigkeiten vorhanden sind, vielleicht sogar Fehler. Seine Optionen bestehen nun einerseits darin, das Journal zu kontaktieren und alles offenzulegen. Alternativ kann er versuchen, die Neuerkenntnisse unter den Tisch zu kehren. Letzteres ist für das Voranbringen der Wissenschaft zweifellos schädlich, aber andererseits steht immerhin der Ruf des Forschenden auf dem Spiel. Bei einem Widerruf ist nur schon die verkürzte Liste von eigenen Publikationen eine Abschreckung, ganz zu schweigen vom Reputationsverlust. Die Nahaufnahme eines solchen inneren Konflikts gibt es hier zu lesen, sicherlich kann jeder Forschende die Problematik nachfühlen. Siegt das Engelchen letztlich über das Teufelchen, so liegt der Ball bei der Redaktion des betreffenden Journals, die sich ähnlich problematischen Anreizen ausgesetzt sieht: Eine zu hohe Quote von Widerrufen wirft ein schlechtes Licht auf die Seriosität des Titels und lässt Zweifel an der Qualität der gewählten Peer Reviewer aufkommen.

Licht ins Dunkel!

Durch diese widersprüchlichen Ziele kommt es immer wieder zu abstrakt und knapp formulierten Korrekturen, sowie zu undurchsichtigen Begründungen von Widerrufen, die zudem nicht an prominenter Stelle veröffentlicht werden. Die zusätzliche Vernetzung aber, für die das Internet in der akademischen Gemeinschaft gesorgt hat, ist bestens dazu geeignet, solchen Mauscheleien entgegenzuwirken. Verschiedene Onlineplattformen stehen zur Verfügung, auf denen die Leserschaft eines Artikels diesen kommentieren kann. Die Hemmschwelle, mit den Autoren in Kontakt zu treten, sinkt. Selbstverständlich geht es auch darum, potentielle Probleme mit dem Inhalt ansprechen zu können. Die Begriffe „post-publication peer review“ oder „open review“ sind für diesen Vorgang im Umlauf. Beispiele solcher Plattformen sind PubPeer und Science Fraud. Dass beide die Anonymität vorziehen, spricht Bände.

Im Fall von Science Fraud ist dies jedoch nicht gelungen, im Zuge von angedrohten Verleumdungsklagen musste der Urheber die Website vom Netz nehmen und seine Identität preisgeben. Keine Rede davon, dass Forschung in ihrem Innersten von Diskurs, von Verifizierung und Falsifizierung lebt! Die Ereignisse um die genannte Plattform haben jedoch zu einer Art von natürlichem Experiment geführt, welches bereits veröffentlicht werden konnte. Bei knapp 500 Artikeln aus dem Bereich Naturwissenschaften waren Daten angezweifelt oder das Vorgehen kritisiert worden. In etwa der Hälfte dieser Fälle wurden die entsprechenden Journals kontaktiert und die Kritikpunkte zusätzlich im Science Fraud Blog veröffentlicht. Bei der anderen Hälfte kam es nur zum „privaten“ Kontakt mit der Redaktion. Die Reaktionen? 62 % der betroffenen Forschungsteams, die ihre Namen im Blog lesen mussten, reagierten mit Korrekturen oder Widerrufen. Selbiges traf auf nur 27 % der Teams zu, die nicht dem öffentlichen Druck ausgesetzt waren.

Wie weiter?

Die Anzahl an Widerrufen steigt, und nicht nur durch das höhere Volumen von Publikationen. Tatsächlich ist ein höherer Prozentsatz der veröffentlichten Artikel von Problemen betroffen. Wo die Ursachen liegen und entsprechend nach Lösungen gesucht werden kann, ist . Der Peer Review Prozess sei schlicht am Anschlag, die nötigen Zeitressourcen für eine seriöse Prüfung fehlten ebenso, wie die Motivation, so eine These. Außerdem steht die Open Access Bewegung im Verdacht, zu höherem Volumen und tieferen Qualitätsstandards zu führen. Ob „post-publication peer review“ einen echten Lösungsansatz bieten kann, wird sich erst noch zeigen müssen. Dass PubMed mit PubMed Commons diesen Ansatz aufgreift, ist sicher ein ermunterndes Signal. Die Entdeckung eines Allheilmittels kann allerdings noch nicht verkündet werden. Eine genaue Inspizierung der Anreize und des Selbstverständnisses in der akademischen Forschung ist alles andere als überflüssig geworden.